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"Mobbing" von Artgenossen

Bild von Fellnasenbetreuung Wegener

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Ab wann kann von "Mobbing" gesprochen werden?

Immer wieder gibt es Kaninchengruppen, in denen einzelne Tiere von einem oder mehreren Rudelmitgliedern in unterschiedlichem Ausmaß drangsaliert werden. In gewissem Grade treten Spannungen in fast jeder (größeren) Gruppe auf.

Spannungen sind solange normal und hinnehmbar, wie keines der Tiere sichtlich unter den "Anfeindungen" leidet - d.h. solange das betroffene Kaninchen…

  • …sich nicht in seinem Fressverhalten beeinträchtigen lässt
  • …entspannt ruhen kann und nicht unter ständiger Anspannung steht
  • …sowohl Rückzugsorte aufsuchen als auch außerhalb davon umherhoppeln darf
  • …mindestens einen Artgenossen hat, mit dem es sich gut versteht, schmust und vor dem es keine Angst hat
  • …keine offenen (Biss-)Verletzungen erleidet
  • …keine stressbedingten Krankheitsausbrüche (z.B. Kaninchenschnupfen, Enzephalitozoonose, Parasitosen, …) erleidet


Eingeschritten werden sollte, wenn das Kaninchen…

  • …sich nur kurz oder unregelmäßig zum Futterplatz traut
  • …regelmäßig vom Futter verjagt wird
  • ….sich zum Ruhen nicht mehr entspannt hinlegt, sondern ständig aufmerksam und in fluchtbereiter Position verbleibt
  • …sich nicht in Höhlen, Schutzhütte etc. oder nicht mehr dort heraus wagt
  • …ständig alleine herumsitzt und kaum oder gar keinen Körperkontakt zu Artgenossen hat
  • …blutig gebissen wird
  • …infolge des Stresses krank wird (z.B. Ausbruch von Kaninchenschnupfen, Enzephalitozoonose, Parasitosen, …)

Solange sich die Aggressionen also auf ein normales, rangordnungsbedingtes Ausmaß beschränken und das betroffene Tier nicht zu leiden scheint, reicht es aus, wenn Sie die üblichen Regeln für die Gruppenhaltung beachten:

  • mind. 3 qm Fläche pro Kaninchen rund um die Uhr
  • mind. 2 Eingänge in jeder Höhle, damit unterwürfige Tiere nicht „in der Falle sitzen“ können
  • mehrere Futterplätze, falls Futterneid vorhanden
  • erhöhte Ebenen zum Ausweichen
  • Kastration aller Rammler und vorzugsweise auch der Häsinnen

Wenn Aggressionen gegenüber einem Artgenossen hingegen eskalieren, obwohl die Grundbedingungen für die Gruppenhaltung erfüllt sind, ist in den meisten Fällen eine Trennung der Gruppe notwendig. Die psychische Dauerbelastung wäre ansonsten nicht nur unzumutbar für das Tier, sondern fördert auch massiv den Ausbruch verschiedener Erkrankungen.

Die Ursache für derartige „Mobbing“-Fälle trotz artgerechter Unterbringung ist in den meisten Fällen unklar. Häufig lässt sich jedoch ein Teufelskreis beobachten: Extreme Unterwürfigkeit und Angst vor Artgenossen verstärkt Aggressionen zusätzlich, da viele dominante Tiere sich von einem flüchtenden Artgenossen zum Hinterherjagen animiert zu fühlen scheinen; häufig wird einem Kaninchen erst dann nachgejagt, wenn es bereits von sich aus die Flucht ergriffen hat. Angstverhalten fördert also Aggressionen und umgekehrt.


Welche Ursachen für vermehrte Aggressionen gibt es?

  • Stress, Nervosität, Angst
  • schlechte Erfahrungen mit dominanten Artgenossen
  • hoher Hormonspiegel
  • Haltungsfehler (Platz- / Beschäftigungsmangel, ungenügende Strukturierung, …)
  • Erkrankung, Schmerzen

Genau wie Menschen neigen auch Kaninchen, die unter Stress stehen, oftmals dazu, diesen in Form von Aggressionen abzubauen. Mögliche Stressfaktoren sind z.B. Platzmangel, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, häufiges "Zwangskuscheln" durch den Menschen, die Nähe von Fressfeinden (z.B. ein ständig am Gitter verharrender Familienhund), eine - längerfrist vorhandene - hohe Geräuschskulisse (z.B. laute Musik, schrill pfeifene Vögel, ganztätiger Baulärm, ...) sowie Langeweile durch eine mangelhafte Einrichtung des Geheges, Balkons oder Zimmers.

Oberstes Gebot, um Unverträglichkeiten bishin zum "Mobbing" vorzubeugen, ist daher eine artgerechte Haltung auf ausreichend großer Fläche (mind. 3 qm pro Kaninchen rund um die Uhr - vor allem nachts und während der Dämmerung) mit diversen Unterschlüpfen, erhöhten Ebenen, Tunneln usw., ein respektvoller Umgang von Seiten des Menschen (keine aufgezwungenen Zärtlichkeiten oder grundloses Einfangen, Jagen, Festhalten und Herumtragen der Tiere), die Vermeidung einer "Dauerbeschallung" wie oben beschrieben sowie das Fernhalten von massiven Angstfaktoren.

Zu den Angstfaktoren gehört bei extrem scheuen Kaninchen auch der Besitzer. Für Tiere, die (noch) große Angst vor dem Menschen haben, stellt jede Näherung, jede Reinigung des Kaninchenzuhauses und ganz besonders jeder körperliche Kontakt eine starke Stresssituation dar. Daher ist es auch im Sinne der Tiere, wenn Sie gezielt darauf hinarbeiten, nach und nach eine Vertrauensbasis zu allen Kaninchen aufzubauen.

Unkastrierte Rammler bekämpfen sich von Natur aus bis aufs Blut. Daher müssen Rammler in Heimtierhaltung ausnahmslos kastriert werden. Doch auch unkastrierte Häsinnen können erhebliche Aggressionen gegenüber ihren weiblichen Artgenossen entwickeln. Dieses Verhalten ist meist hormonell bedingt und lässt sich durch eine (rechtzeitige) Kastration eindämmen.

Schmerzen und Unwohlsein sind ebenfalls eine mögliche Stress- und somit Aggressionsursache. Auch hat ein Kaninchen, das an Schmerzen leidet, mitunter Angst vor Berührungen, welche die Schmerzen verschlimmern könnten, und wehrt Annäherungen durch Artgenossen daher mit aggressivem Verhalten ab. Verhält ein Kaninchen sich also nicht nur aggressiv, sondern allgemein unnormal (z.B. "aufgeplusterte" Sitzhaltung, Bewegungsunlust, ungewöhnliche Fortbewegung, Appetitmangel, ...), muss die Ursache hierfür unbedingt tierärztlich abgeklärt werden.


Welche Ursachen für extreme Unterwürfigkeit gibt es?

  • zu frühe Trennung von Mutter und Geschwistern
  • schlechte Erfahrungen mit dominanten Artgenossen
  • Erkrankung, Behinderung

In den meisten Fällen basiert extremes Angstverhalten gegenüber Artgenossen auf einer mangelnden Sozialisierung im Jungtieralter. Kaninchen, die zu früh - d.h. vor der 10.-12. Lebenswoche - von Mutter und Geschwistern getrennt wurden, haben häufig Probleme, mit Artgenossen zu kommunizieren oder reagieren infolgedessen mit extremer Unsicherheit auf andere Kaninchen – oder es kommt zu regelrechten „Missvertändnissen“. Jedes weitere negative Erlebnis, wie beispielsweise ein Knurren, Zwicken oder eine kurze Verfolgungsjagd, kann die bereits vorhandene Skepsis dann massiv verstärken.

Auch gesundheitliche Probleme sind eine mögliche Ursache dafür, dass ein Kaninchen von seinen Artgenossen dominiert wird und sich nicht zur Wehr setzt. Dies müssen nicht zwangsläufig schwerwiegende Erkrankungen sein. Manchmal reicht ein leichtes Unwohlsein, damit ein Kaninchen sich lieber zurückzieht, als sich einer Konfrontation zu stellen. Dasselbe gilt für körperliche Behinderungen, z.B. Gleichgewichtsprobleme durch Enzephalitotoonose oder Schmerzen durch Arthrosen, Pododermatiden (= entzündete Fußsohlen) u.v.m. Dies kann von Artgenossen "ausgenutzt" werden, um in der Rangordnung aufzusteigen und das erkrankte Tier in seinem „Selbstvertrauen“ massiv beeinträchtigen.

Prinzipiell kann auch jede Art von Traumatisierung eines Tieres dazu führen, dass es Verhaltensstörungen entwickelt, zu denen auch extremes Angst- und Unterwerfungsverhalten gehört. Ein Kaninchen beispielsweise, das sein bisheriges Leben als Kinderspielzeug im Käfig verbracht hat, kann infolgedessen so verstört sein, dass es seine Angst auch auf Artgenossen überträgt, obwohl es mit diesen noch keine schlechten Erfahrungen gesammelt hat.


Welche Auswirkungen kann "Mobbing" auf das betroffene Kaninchen haben?

  • Traumatisierung => langfristige Panik vor Artgenossen, teils auch vor Menschen, bestimmten Geräuschen, dem Verlassen der Schutzhütte, ...
  • massives psychisches Leid => "Depressionen", Immunschwäche
  • "Sitzenbleiben" in den Hinterlassenschaften => Hautreizungen und Fliegenmadenbefall im Afterbereich
  • Stress, "Depressionen" => Bewegungsmangel, Verdauungsstörungen, eingeschränktes Fressverhalten, vermindertes Putzverhalten
  • eingeschränktes Fressverhalten => Verdauungserkrankungen, Zahnprobleme, Gewichtsverlust
  • vermindertes Putzverhalten => Fell- und Hauterkrankungen
  • Bewegungsmangel => Verkümmerung der Muskulatur, Immunschwäche, Verdauungsprobleme u.a.
  • Fernbleiben von der Schutzhütte => Unterkühlung => Blasenentzündung, Lungenentzündung, Erkältung, Schnupfen, ...

Dies sind nur einige Beispiele dafür, welche Folgen "Mobbing" durch Artgenossen für ein Kaninchen nicht nur psychisch, sondern auch körperlich haben kann. Sie sind abhängig davon, wie stark die Aggressionen der dominanten Artgenossen ausfallen und wie "sensibel" das betroffene Kaninchen ist. Dies variiert von Tier zu Tier. Eine gute Beobachtung und viel Einfühlsamkeit ist das A und O, um einschätzen zu können, ob es sich bei einem Kaninchen "nur" um ein unterwürfiges Tier, um einen tatsächlichem Außenseiter oder sogar um ein regelrechtes "Mobbingopfer" handelt.


Was tun, wenn ein Kaninchen "gemobbt" wird?

Zunächst sollten Sie überprüfen, ob Ihre Haltungsbedingungen den Bedürfnissen der Kaninchen gerecht werden, und sie ggf. anpassen:

  • Bewegungsfreiheit – mind. 3 qm pro Kaninchen (kleine Rassen) rund um die Uhr, v.a. nachts

  • Freiraum nach oben für Sprünge und das Aufsuchen erhöhter Ebenen – zu niedrige Gehege sind ungeeignet!

  • Alle Rammler, möglichst auch alle Häsinnen sind seit mindestens 6 Wochen kastriert

  • diverse Tunnel, Höhlen, zweite Ebenen, eine Buddelkiste usw.

  • Grünfutter (Wiese, Blattgemüse, Küchenkräuter) steht möglichst immer zur freien Verfügung. Zusätzlich steht für den Notfall auch Heu stets zur freien Verfügung.

  • Die Kaninchen sind keiner permanent hohen Geräuschskulisse (schrill pfeifende Vögel, dröhnende Musik, ...) ausgeliefert.

  • Die Kaninchen sind keiner häufigen Angst ausgesetzt (z.B. durch einen am Gitter stehenden Hund oder Kinder, die die Tiere ständig einfangen, „zwangsstreicheln“ und herumtragen)

  • Weder die dominanten Tiere noch das „ausgegrenzte“ Kaninchen weisen Krankheitssymptome auf.

Was den letzten Punkt betrifft, sollten Sie nicht nur nach Augenmaß eine Einschätzung vornehmen, sondern auch einen Tierarzt zu Rate ziehen. Sowohl ein sehr unterwürfiges als auch ein sehr aggressiv wirkendes Kaninchen sollten untersucht werden. Insbesondere empfiehlt es sich, den Bauchraum fachmännisch durchzutasten (angespannter Bauch? Umfangsvermehrungen? Schmerzhafte / verkleinerte / vergrößerte Organe?), Schädel und Kieferknochen abzutasten sowie die Maulhöhle gründlich zu inspizieren (Zahnerkrankungen? Abszesse?). Auch Röntgendiagnostik kann sinnvoll sein, z.B. zur Darstellung schmerzhafter Nieren- und Blasensteine.

Leben die Kaninchen stressarm und auf ausreichend Fläche, sind kastriert und gesund, werden artgerecht gefüttert und haben mehrere Rückzugs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, können Sie dennoch Schritte unternehmen, um die Situation zu entschärfen. Hierzu gehören:

  • Falls möglich, eine Erweiterung des Platzangebots
  • Angebot von mindestens zwei Futterplätzen, Schutzhütten, Toilettenschalen, Aussichtspunkten usw. in einem gewissen Abstand voneinander
  • Sämtliche Unterschlüpfe sollten mind. 2 Ausgängen besitzen, damit kein Kaninchen darin „in der Falle sitzen“ kann
  • möglichst viele zweite Ebenen, da Kaninchen gerne "nach oben" ausweichen
  • gezielte Gegenkonditionierung

Gegenkonditionierung bedeutet, dass Sie erwünschtes (friedliches) Verhalten belohnen sollten und gleichzeitig unbedingt darauf achten müssen, nicht versehentlich das unerwünschte Verhalten zu bestärken. Dies bedeutet beispielsweise: Versuchen Sie, die Kaninchen möglichst nahe zueinander zu locken und mit Leckerbissen zu füttern, damit sie die Nähe des jeweils anderen mit etwas Positivem verknüpfen.

Die "Belohnungsmaßnahme" muss sofort abgebrochen werden, wenn Aggressions- oder Fluchtverhalten erfolgt. Anderenfalls lernt das dominante Kaninchen, dass es positiv oder zumindest egal ist, wenn es seinen Artgenossen vertreibt, bzw. lernt das unterwürfige Tier, dass Fluchtverhalten belohnt wird. Selbstverständlich sind auch Bestrafungen abzulehnen, denn kein Kaninchen begreift, dass sein Besitzer ein Problem damit hat, wenn es ein Gruppenmitglied "ärgert". Tritt unerwünschtes Verhalten auf, brechen Sie das Füttern sofort ab und entfernen sich, ohne die Tiere weiter zu beachten.


Und wenn auch die Gegenmaßnahmen nicht greifen?

Sollte sich die Situation also trotz der genannten Gegenmaßnahmen nicht verbessern und das "Mobbing" auch nach 2-3 Wochen weiter andauern, sollte die Gruppe gesplittet werden.

Manchmal hilft es, das dominante Kaninchen in eine andere Gruppe zu integrieren. Es ist jedoch ebenfalls möglich, dass im Anschluss ein anderes Kaninchen seinen Platz einnimmt und nach einiger Zeit das gleiche Problem wie zuvor besteht.

In diesem Fall müssen Sie leider davon ausgehen, dass sich das unterwürfige Kaninchen ausschließlich für die Paarhaltung eignet, da es in einer Gruppe grundsätzlich keinen Anschluss findet und somit auch der Wechsel in eine andere Gruppe keinen langfristigen Erfolg nach sich ziehen würde.

Ein "nicht gruppenfähiges" Kaninchen wird künftig vorzugsweise mit dem Artgenossen zusammen gehalten, zu dem es bereits zuvor "den besten Draht" hatte. Falls dies nicht ersichtlich ist, sollten Sie sich bei seinem Partner auf jeden Fall für einen gegengeschlechtlichen Artgenossen entscheiden, da ein Pärchen fast immer hervorragend harmoniert. Bei gleichgeschlechtlichen Duos stehen die Chancen deutlich schlechter; und gerade ein Kaninchen, das "Mobbing"-Erfahrungen gemacht hat, sollte anschließend mit einem Artgenossen zusammenleben, von dem absolut keine Aggressionen ausgehen.

Es ist möglich, dass ein durch "Mobbing" vorbelastetes Kaninchen seine Erfahrungen auch mit Artgenossen in Verbindung bringt, die ihm nie etwas zu Leide getan haben. Mitunter dauert es mehrere Wochen, bis ein derart traumatisiertes Tier begriffen hat, dass es vor dem neuen Partner keine Angst zu haben braucht.

Diesen Prozess können Sie beschleunigen, indem Sie z.B. beide Kaninchen zusammen aus einer Hand füttern. Auch hilft es, das unterwürfige Kaninchen mit Leckerbissen zu füttern, sobald sich sein Artgenosse nähert. Dadurch verbindet es ihn mit etwas Positivem.

Umgekehrt darf das unterwürfige Kaninchen keinesfalls mit Leckerbissen "getröstet" werden, wenn es auf seinen Artgenossen mit Angst reagiert - dadurch würde es lediglich lernen, dass die Flucht vor seinem Partner mit einer Belohnung verbunden ist. Das Angstverhalten würde also zusätzlich verstärkt.