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Kaninchen im "Rollstuhl"?

Immer wieder sieht man Kaninchen, sie sich aufgrund gelähmter Hinterbeine mittels Rollwagen fortbewegen. Ein Thema, das polarisiert und nicht selten erbitterte Diskussionen zwischen Befürwortern („Auch behinderte Tiere haben ein Recht auf Leben“) und Gegnern („Diese Tiere haben keine Lebensqualität mehr“) auslöst.

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„Das Kaninchen fühlt sich wohl: Es ist aufmerksam, aktiv, frisst gut und hat keine Schmerzen.“

Exakt dieselben Begründungen hört man auch von Besitzern, die ihr Kaninchen mit Überzeugung alleine halten. Die Antwortet ist dieselbe: Wie die meisten Tiere sind auch Kaninchen von Natur aus darauf gepolt, Leid zu verbergen. Um nicht als „leichte Beute“ auserkoren zu werden, versuchen sie instinktiv, sich so normal wie möglich zu verhalten.

Tiere können ihre Instinkte nicht gezielt ausblenden, um ihrem Menschen zu „zeigen“, dass es ihnen nicht gut geht. Sie gehen nicht freiwillig in den Hungerstreik. Und solange ihr Organismus an keiner Erkrankung leidet, die sich auf das Hungerzentrum auswirkt – wie z.B. solche, die Schmerzen, Übelkeit oder Fieber auslösen – , haben sie selbstverständlich auch weiterhin Hunger und Appetit.

Um sicher sein zu können, dass ein Tier sich wohlfühlt, lautet der unter Tierschützern weitestgehend einstimmige Grundsatz: Es sollte sichergestellt werden, dass das Tier seinen natürlichen Grundbedürfnisse nachkommen kann. Dies ist im Falle der Einzelhaltung z.B. nicht gegeben, da dem Kaninchen sein Grundbedürfnis nach Sozialkontakt verwehrt bleibt; im Falle eines Käfigkaninchens, da es weder rennen, springen, toben noch entdecken und sich beschäftigen kann. Auch ein Einzelkaninchen im Käfig ist i.d.R. munter, bewegt sich so viel wie möglich und frisst oftmals nicht nur gut, sondern sogar zu viel, was zur Fettleibigkeit führt. Dennoch wird kaum ein Tierfreund bezweifeln, dass es leidet.

Wie sieht es nun mit den Grundbedürfnissen eines querschnittsgelähmten Kaninchens aus?

Ein Kaninchen im Rollwagen kann prinzipiell weniger tun als ein Kaninchen im Käfig. Nicht nur bleibt ihm die Befriedigung seines Bewegungsdranges verwehrt. Auch das Putzverhalten kann nur noch mit erheblichen Einschränkungen ausgelebt werden – eine große psychische Belastung für ein solch herausragend reinliches Tier wie das Kaninchen, welches viele Male täglich intensive Körperpflege betreibt.

Zur Reinlichkeit gehört auch ein geregelter Absatz von Kot und Urin, entweder gezielt in die Toilettenecken oder zu Markierzwecken. Einem querschnittsgelähmten Kaninchen fehlt hier jede Kontrolle. Es ist auf eine Windel angewiesen, welche vom Besitzer regelmäßig gewechselt wird. Als reine Frischköstler nehmen Kaninchen mit ihrer Nahrung große Mengen an Flüssigkeit auf und produzieren dementsprechend viel Harn. 

Da weder der Tierbesitzer 24 Stunden am Tag permanent die Windeln seines Tieres kontrollieren noch das Tier seinem Besitzer mitteilen kann, wann dies nötig wäre, muss ein Kaninchen im Rollstuhl nahezu ständig eine durchnässte Windel ertragen. Dies ist nicht nur sehr unangenehm, sondern kann auch gesundheitliche Probleme wie Haut- und Blasenentzündungen nach sich ziehen.

Kaninchen sind auf die Aufnahme ihres Blinddarmkotes angewiesen, um die im Blinddarm produzierten Nährstoffe erneut aufnehmen und im zweiten Verdauungsdurchgang verwerten zu können. Der Blinddarmkot wird instinktiv direkt vom After wieder aufgenommen. Ist einem Kaninchen dies nicht möglich, frisst es ihn oftmals vom Boden, sofern es kann. Bei einem querschnittsgelähmten Kaninchen landet er jedoch in der Windel oder – sofern es auf keinen Rollstuhl geschnallt ist und keine Windel trägt – bleibt beim „Wegrobben“ an seinem Unterleib kleben. Von der psychischen Belastung, dem natürlichen Verhalten nicht nachkommen zu können, abgesehen, kann es langfristig - je nach Fütterungsregime - zu Mangelerscheinungen kommen.

Weiterhin sind einem gelähmten Kaninchen u.a. das Männchenmachen, Buddeln, der Sprung auf einen Aussichtspunkt, Kratzen bei Juckreiz, Trommeln beim Wittern von Gefahr und der blitzschnelle Rückzug, wenn es sich vor etwas erschreckt, unmöglich. Ein Beutetier, das nicht jederzeit flüchten kann, steht zwangsläufig unter Dauerstress.

Im Gegensatz zu einem Käfigkaninchen kann ein „Rollstuhlkaninchen“ nicht einmal eine solch elementare Entscheidung treffen wie die, welche Körperposition es gerade einnehmen möchte. Ohne Rollstuhl kann es lediglich liegen oder „robben“. Mit Rollstuhl kann es entweder stehen oder laufen. Allein der Besitzer trifft die willkürliche Entscheidung, ob es gerade ruhen oder aktiv sein darf bzw. muss.

Zusätzlich verkompliziert wird dieser Konflikt dadurch, dass der Tagesrhythmus des Kaninchens leider nicht so „einfach“ funktioniert wie bei einem Menschen, der i.d.R. tagsüber aktiv ist und nachts schläft. Kaninchen sind wechselaktiv – d.h. sowohl tagsüber als auch nachts wechseln ihre Ruhe- und Aktivitätsphasen permanent. Sie können ebenso wenig den Rhythmus eines Menschen übernehmen, wie es einem Menschen beispielsweise möglich wäre, 72 Stunden am Stück aktiv zu sein und anschließend 48 Stunden durchzuschlafen.

Unter dieser Problematik leiden auch all die Kaninchen, die tagsüber Freilauf bekommen und nachts in einen handelsüblichen Käfig oder Stall gesperrt werden: Sie sind die ganze Nacht über zur Ruhe „gezwungen“ und können weder ihrem Drang nach Bewegung noch nach Beschäftigung nachkommen. Und dennoch haben sie noch erheblich mehr Freiheiten als ein Kaninchen im Rollwagen: Sie können während der vom Besitzer festgelegten „Ruhezeit“ immerhin wenige Schritte bzw. "Hoppler" machen, sich aufrichten, putzen, kratzen, trommeln, in der Einstreu buddeln, fluchtartig verstecken, ihren Blinddarmkot aufnehmen sowie ihren Kot- und Harnabsatz steuern. Während ihres Freiganges wiederum können sie jederzeit nach Bedarf Ruhepausen einlegen, eine Liegeposition ihrer Wahl einnehmen und entspannt dösen oder schlafen.

Einem Kaninchen, das im Rollstuhl „festsitzt“, ist es unmöglich, nach Bedarf eine bequeme Ruheposition einzunehmen. Der Besitzer kann sein Kaninchen weder 24 Stunden am Tag „überwachen“ noch mit ihm soweit kommunizieren, dass er die aktuell gewünschte Körperhaltung und Tätigkeit aus ihm "herauslesen" könnte.

Der einzige Vorteil eines „Rollstuhlkaninchens“ gegenüber einem Käfigkaninchen liegt darin, da es eine große, behindertengerecht ausgestattete Fläche immerhin einigermaßen erkunden kann und ihm somit die Langeweile unter Umständen erspart bleibt. Dies gilt jedoch auch nur, solange es sich auf seinem Rollwagen befindet. Außerhalb seines Wagens liegt es mehr oder weniger fest.


„Die Tiere akzeptieren ihre Situation“, „Sie finden sich mit ihrem Schicksal ab“, „Sie machen das Beste aus ihrer Lage“, „…geben nicht auf“, …

Selbstverständlich tun sie das - welche Wahl bleibt ihnen auch? Das gleiche lässt sich über ein Kaninchen sagen, das im Hamsterkäfig, Labor, Maststall oder auf der Pelzfarm "lebt". Ein Tier begeht keinen Selbstmord, tritt nicht in den Hungerstreik, bricht nicht in Tränen aus und versinkt meist auch nicht in Depressionen. Ein Tier versucht instinktiv, so gut wie möglich seine Instinkte und Bedürfnisse auszuleben und zu überleben. Das Beste aus einer Lage zu machen, bedeutet nicht, dass die Lage dadurch gut oder auch nur ansatzweise akzeptabel wird! Und etwas gezwungenermaßen zu „akzeptieren“ und sich damit „abzufinden“, bedeutet nicht, damit glücklich zu sein.

Der berühmte Satz „Mein Tier ist ein Kämpfer!“ sollte nur mit Stolz geäußert werden, wenn dieser Kampf auch einen Sinn hat – etwa wenn ein schwer krankes Tier dadurch dem Tod entgeht und wieder gesund wird, oder wenn es eine lange Rehabilitationsphase durchsteht, an deren Ende jedoch wieder ein erfülltes Leben steht.

Ein Tier, das sich tagtäglich „durchs Leben kämpft“, ohne dass dieser Kampf irgendwann in einer Besserung des Zustandes resultiert, ist sicherlich kein Grund zur Freude. Ein Tier sollte nicht lebenslang „kämpfen“ müssen. Ein Leben, das aus einem permanenten „Kampf“ bestehen, ist kein Leben.


"Ich tue alles für mein Tier!"

Sich für sein Tier zu engagieren und keine Kosten und Mühen zu scheuen, ist natürlich grundsätzlich vorbildlich - aber nur, solange das Tier auch wirklich davon profitiert und der "Kampf" nicht eher dazu dient, sich selber ein gutes Gefühl zu verschaffen, da man sich für sein Tier "aufopfert", oder gar sich vor seinen Mitmenschen, meist via Internet, zu profilieren.

Dass es sich bei den Befürwortern von Kaninchen-"Rollis" meist um engagierte Tierschützer handelt, ist einerseits logisch - denn wem das Interesse an den Tieren fehlt, der wäre i.d.R. gar nicht bereit für einen derartigen "Aufwand" - andererseits aber auch besonders kurios, da die selben Personen, die sich aufgrund der nicht erfüllbaren Grundbedürfnisse vehement etwa gegen Käfig- und Einzelhaltung aussprechen, diese Argumente beim Thema "Rollstuhlkaninchen" völlig ausblenden oder abwinken. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen wie kaum auf einem anderen Gebiet in der Kaninchenhaltung.


„Menschen im Rollstuhl schläfert man ja auch nicht ein.“

Vergleiche mit Menschen sind in der Tierhaltung grundsätzlich ein heikles Thema, insbesondere, was das Thema Euthanasie betrifft. Würde man sich bei diesem Thema am Menschen orientieren, dürfte man (hierzulande) kein Tier jemals einschläfern, völlig egal, ob es unheilbare Schmerzen, Atemnot oder sonstige Qualen durchsteht. 

Auch ein Mensch, der noch so schwer krank ist und unbeschreibliches Leid durchsteht, wird mit allen Mitteln so lange wie möglich am Leben gehalten – egal, ob er es möchte oder nicht. Ist er körperlich nicht dazu in der Lage, Suizid zu begehen, muss er weiterleben. Kaum ein Mensch hält dies im Falle von Tieren für erstrebenswert. Ein Tier, das nur noch leidet, sollte erlöst werden, darüber herrscht fast hundertprozentige Einigkeit.

Möchte man ein Kaninchen im Rollstuhl nun dennoch mit einem Menschen im Rollstuhl vergleichen, sollte man Folgendes bedenken: Ein „nur“ querschnittsgelähmter Rollstuhlfahrer kann in den meisten Fällen noch ein weitgehend selbstständiges Leben führen. Ist ihm etwas nicht möglich, bekommt er die notwendige Hilfe, da er in der Lage ist, seinen Willen zu äußern. Er kann einem Mitmenschen seine Wünsche und Bedürfnisse mitteilen. Er kann frei entscheiden, ob er sitzen, liegen, sich bewegen, beschäftigen, ruhen oder schlafen möchte, kann bei Bedarf seine Windel wechseln oder eine Hilfsperson darum bitten.

Ein Kaninchen im Rollwagen ist wie ein Mensch, der nicht nur querschnittsgelähmt, sondern auch nahezu unfähig zu jeglicher Kommunikation ist – dessen Wünsche und Bedürfnisse man mehr oder weniger erraten muss.

Wer sein Tier kennt, wird ihm gewissermaßen anmerken, wenn es etwas Bestimmtes möchte. Doch dies ist auch mit dem größten Engagement und Einführungsvermögen nur mit erheblichen Einschränkungen und auch nur dann möglich, wenn das Tier gerade unter Beobachtung steht. 

Kein Besitzer kann 24 Stunden am Tag sein Tier „überwachen“, um zu interpretieren zu versuchen, was es gerade möchte oder benötigt. In den Stunden, die ein gelähmtes Tier mit seinem Besitzer verbringt, ist es seinem Willen ausgeliefert und darauf angewiesen, dass er ihm seine Bedürfnisse so gut wie möglich „ansieht“. Solange sein Besitzer schläft oder außer Haus ist, fällt jegliche Hilfe komplett weg. Es ist in seinem Körper gefangen.


„Auch behinderte Menschen und Tiere haben ein Recht auf Leben!“

Abgesehen davon, dass, wie bereits oben erläutert, Vergleiche zwischen Menschen und Tieren fragwürdig sind, wird hier verallgemeinernd von „Behinderungen“ gesprochen, obwohl sich hinter diesem Begriff himmelweite Unterschiede verbergen können.

Ein Kaninchen, dem ein Bein amputiert wird, lebt zwar mit gewissen Einschränkungen (z.B. beim Kratzen und Putzen), kann aber dennoch ein weitgehend normales Leben führen.

Ein blindes Kaninchen vermeidet meist „Sprünge ins Leere“ und tobt nicht so ausgelassen herum wie seine Artgenossen mit Sehvermögen, kann sich in vertrauter Umgebung aber ansonsten nahezu normal bewegen und in fremder Umgebung mittels Tast- und Geruchsinn orientieren, wie es auch ein Wildkaninchen in seinem Bau tut. Auch seine übrigen Grundbedürfnisse bleiben uneingeschränkt.

Ein Kaninchen mit chronischer Kopfschiefhaltung hat mitunter Schwierigkeiten beim Fressen und benötigt hierfür etwas mehr Zeit, ansonsten hat es jedoch überwiegend ein „Schönheitsproblem“, worunter es nicht leidet.

Chronische Zahnpatienten benötigen regelmäßige Zahnkorrekturen, die mit Stress verbunden sind, führen in den Wochen dazwischen jedoch ein uneingeschränkt glückliches Leben. Zahnlose Kaninchen benötigen spezielle Nahrung (Breifutter), sind davon abgesehen aber nicht in ihrem Verhalten eingeschränkt. 

Behinderungen zu verallgemeinern, entbehrt jeder Logik. Sie dürfen nicht nach Aussehen oder danach bewertet werden, wie es einem Menschen mit einem ähnlichen Problem gehen würde (so ist z.B. ein blinder oder einbeiniger Mensch erheblich eingeschränkter). Entscheidend ist, ob das Kaninchen damit ein erfülltes und seinen Bedürfnissen entsprechendes Leben führen kann.

Denn: Menschen und Tiere haben nicht nur ein Recht auf Leben, sondern vor allem auf ein erfülltes Leben ohne übermäßiges Leid!


Fazit

Es ist grundsätzlich lobenswert, wenn ein Besitzer keine Kosten, Zeit und Mühen scheut, um seinem Tier zu helfen. Doch ebenso sollte ein liebender Tierbesitzer erkennen können, wann seinem Tier trotz aller Liebe, allen Engagements und modernster Medizin ein erfülltes Leben schlichtweg nicht mehr möglich ist.

Ein querschnittsgelähmtes Kaninchen kann einen Großteil seiner elementaren Grundbedürfnisse und seines natürlichen Verhaltensrepertoires nie wieder ausleben – sogar noch deutlich weniger als ein Kaninchen, das im Käfig gehalten wird – , was mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden ist. 

Zu dem psychischen Leid kommen oftmals körperliche Beschwerden wie Hautentzündungen und Harnwegsinfekte infolge des ständigen „Einnässens“, Mangelerscheinungen und Verdauungsprobleme durch die Unfähigkeit zur Blinddarmkotaufnahme, überlastungsbedingte Arthrosen und Entzündungen (Pododermatiden) der vorderen Gliedmaßen sowie generelle Haut- und Fellprobleme durch die Unfähigkeit, sich zu putzen und zu kratzen.

Aktivität, gutes Fressverhalten und Schmerzfreiheit mag einem liebenden Tierbesitzer, der aufgrund der emotionalen Nähe zu seinem Tier nicht zu objektiven Entscheidungen in der Lage ist, Wohlbefinden suggerieren. Doch diese Faktoren sind bei keinem Tier beweisend für sein Wohlbefinden, solange die Frage ausgeblendet wird, ob es überhaupt einfachsten Grundbedürfnissen nachkommen kann.

Die tierschutzgerechte Haltung eines querschnittsgelähmten Kaninchens ist quasi unmöglich und der lebenslange Leidensdruck eines solchen Tiere sollte nicht zugunsten von Besitzern, die den Abschied nicht übers Herz bringen oder schlichtweg „nicht aufgeben“ wollen, beschönigt werden.