Im Folgenden erhalten Sie eine Übersicht über die vielfältigen Krankheitsbilder im Bereich der Kaninchenzähne, die Möglichkeiten, sie zu diagnostizieren, und die möglichen Auslöser.
Schlechte Zahnsubstanz
Ursache:
- Zahnwurzelentzündung
- Nährstoffmangel
Chronische Zahnwurzelentzündungen führen mit der Zeit dazu, dass keine gesunde Zahnsubstanz mehr nachgebildet wird und die Zahnkronen sich optisch von denen gesunder Zähne unterscheiden.
Eine krankhaft veränderte Zahnsubstanz lässt sich sehr gut auf Röntgenbildern darstellen, aber auch mit bloßem Auge erkennen: Gesunde Zahnkronen besitzen physiologische Längsrillen. Sind diese nicht mehr erkennbar, ist die Zahnwurzel krank.
Falls Sie beim wöchentlichen Gesundheitscheck Ihres Kaninchens feststellen, dass die Längsrinnen eines Schneidezahns nur noch undeutlich ausgeprägt oder stattdessen Querrillen sichtbar sind, sollten Sie zügig einen Termin zum Schädelröntgen vereinbaren.
Eine veränderte Backenzahnsubstanz kann der Tierarzt nur erkennen, wenn er mit einem Otoskop ins Mäulchen schaut oder das Kaninchen sediert und das Mäulchen anschließend mit einem Maulspreizer öffnet.
Zahnwurzeln können sich durch Druckbelastung beim Fressen (Zerbeißen harter Futterbrocken!, verlängerte Zahnkronen) oder eine mechanische Schädigung des Zahnes entzünden. Eine mechanische Schädigung kann die Folge eines physischen Traumas sein, z.B. eines Sturzes oder des Anstoßens an einem Gegenstand, oder wiederum durch das Zerbeißen harter Futterbrocken entstehen (Splittern des Zahns!).
Auch die Anwendung eines Maulspreizers am wachen Tier kann zur Folge haben, dass die Zähne durch Abwehrbewegungen oder verzweifelte Versuche, das Mäulchen zu schließen, geschädigt werden.
Erschreckenderweise gibt es noch immer Tierärzte, die zu lange Schneidezähne mit einer Zange abknipsen, anstatt sie abzuschleifen. Dieses Vorgehen ist in höchstem Maße tierschutzwidrig, da die Zähne dabei fast immer splittern (vergleichbar mit dem Durchknipsen eines Glasrohrs)! Oft ist dies nicht sofort sichtbar, doch die entstehenden Mikrorisse im Zahnschmelz führen zum Eindringen von Bakterien. Dies hat zur Folge, dass die Zähne dem Kaninchen mit der Zeit regelrecht wegfaulen - von den Schmerzen ganz zu schweigen!
Ein längerfristiger Mangel an Kalzium oder Vitamin D (siehe oben) führt zu Osteoporose. In der Folge werden auch die Zähne brüchig und anfällig. Die nachgebildete Zahnsubstanz ist dementsprechend schlecht.
Überwuchs der Zahnkronen
Ursache:
- ang Fehlstellung
- Fütterungsfehler im Wachstum
- rohfaserarme Ernährung
Die Schneidezahnkronen des Oberkiefers sind beim Kaninchen in etwa so lang wie die des Unterkiefers. Von der Seite betrachtet sollten die Schneidezähne des Oberkiefers in etwa bis auf die Höhe des Gaumens wachsen. Wenn Sie die Zähne Ihrer Kaninchen regelmäßig kontrollieren, werden Ihnen eventuelle Abweichungen auffallen. Im Zweifelsfall können Sie Fotos anfertigen, um einen Vergleich zu haben. Gerade für Anfänger in der Kaninchenhaltung ist dies sehr praktisch.
Sind alle Schneidezähne auffällig lang oder ist das obere Paar deutlich länger oder kürzer als das untere, ist eine weitere Abklärung und Korrektur notwendig. Möglicherweise stehen die Schneidezähne nicht optimal aufeinander oder die Backenzahnkronen sind zu lang: In beiden Fällen ist der Abrieb der Schneidezähne beeinträchtigt.
Deutlich zu lange Backenzahnkronen kann ein kaninchenerfahrener Tierarzt mit bloßem Auge erkennen, wenn er mit einem Otoskop ins Mäulchen schaut oder das Kaninchen sediert und das Mäulchen anschließend mit einem Maulspreizer öffnet. Eine optimale, objektive Beurteilung ist jedoch nur mittels Schädelröntgen möglich: Auf den Röntgenbildern werden sogenannte Referenzlinien eingezeichnet, über die die Zahnkronen eines gesunden Kaninchens nicht hinausreichen.
Stufengebiss (Treppengebiss), abfallende Kaufläche, Schiefstellung der Zähne
Ursache:
- angeborene Fehlstellung
- Fütterungsfehler im Wachstum
- Beschwerden beim Kauen
Bei einem Stufengebiss liegen die Backenzahnkronen nicht in einer Linie hintereinander, sondern wachsen unterschiedlich hoch. Bei einer abfallenden Kaufläche überragen die vorderen Backenzähne die hinteren.
Weiterhin ist eine asymmetrische Abnutzung möglich, bei der die Zähne nur auf einer Seite zu lang sind. Dies führt in der Folge meist auch zu schief abgeriebenen Schneidezähnen.
Derartige Fehlstellungen kommen oft dadurch zustande, dass die Zähne sich aufgrund einer angeborenen oder erworbenen Fehlstellung nicht gleichmäßig abreiben. Es ist aber auch möglich, dass das Kaninchen "gezielt" einseitig / verändert kaut, da es z.B. in einem bestimmen Bereich Schmerzen hat.
Hierfür können z.B. eine Zahnwurzelentzündung, eine Verletzung der Maulschleimhaut oder, v. a. bei Widdern, eine Mittelohrentzündung verantwortlich sein. Mittelohrentzündungen können auch zu einer Kontraktur des Gesichtsnervs (Nervus facialis) führen. In diesem Fall ist der Mundwinkel auf der betroffenen Seite hochgezogen. Das Kaninchen hat in der Folge meist Schwierigkeiten, auf dieser Seite zu kauen.
Ein kaninchenaffiner Tierarzt erkennt die beschriebenen Backenzahnprobleme mit bloßem Auge, wenn er mit einem Otoskop ins Mäulchen schaut oder das Kaninchen sediert und das Mäulchen anschließend mit einem Maulspreizer öffnet.
Zahnwurzel- und Mittelohrentzündungen hingegen sind nur via Schädelröntgen oder CT feststellbar.
Bildung von Zahnspitzen
Ursache:
- angeborene Fehlstellung
- Fütterungsfehler im Wachstum
- Mangelerscheinungen
Zahnspitzen entstehen immer dann, wenn die Zähne des Oberkiefers und die des Unterkiefers nicht ideal zueinander positioniert sind. In diesem Fall werden bestimmte Bereiche einzelner Zähne nicht (ausreichend) abgerieben und wachsen in die Länge. Dadurch können Spitzen entstehen, die zu schmerzhaften Verletzungen der Zunge oder Wangenschleimhaut führen.
Neben angeborenen Fehlstellungen sind Fütterungsfehler im Wachstum häufige Auslöser. Auch Mangelerscheinungen können dazu führen, dass sich die Zähne geringgradig lockern und in ihrer Position verändern. Auch bei einer anschließend optimalen Ernährung ist es nicht möglich, die ideale Position wiederherzustellen. Die Intervalle, in denen die Spitzen vom Tierarzt abgeschliffen werden müssen, können aber durch eine artgerechte Ernährung mitunter erheblich vergrößert werden.
Ein kaninchenaffiner Tierarzt erkennt Zahnspitzen mit bloßem Auge, wenn er mit einem Otoskop ins Mäulchen schaut oder das Kaninchen sediert und das Mäulchen anschließend mit einem Maulspreizer öffnet.
Achtung: Nicht-spezialisierte Tierärzte verwechseln krankhafte Zahnspitzen evtl. mit den physiologischen, scharfen Kanten, die alle Kaninchenzähne aufweisen, um Pflanzenteile während des mahlenden Kauvorgangs zerschneiden zu können. Diese Kanten sollten keinesfalls glattgeschliffen werden, da sie dem Kaninchen (jedenfalls bis sie nachgewachsen sind) das Kauen erschweren und dadurch "echte" Zahnprobleme auslösen können!
Zahnspitzen sind immer ein Anlass, den Schädel zu röntgen, da die Wurzeln sehr häufig ebenfalls - und oft noch erheblich stärker - verändert sind.
Retrogrades Zahnwachstum, Zahnwurzelabszesse
Ursache:
- überlange Zahnkronen
- harte Futterbrocken
Beim sogenannten retrograden Wachstum werden die Zahnwurzeln in den Kieferknochen gedrückt, sie "wachsen rückwärts".
Durch die Verdrängung des Knochengewebes können sie massive Entzündungsprozesse auslösen, die sich häufig zu Abszessen entwickeln.
Das retrograde Wachstum kommt immer dadurch zustande, dass die Zähne über längere Zeit in Richtung Knochen "gedrückt" werden: Entweder, weil die Zahnkronen zu lang sind und beim Kauen ein erhöhter Druck entsteht; oder weil die Kaninchen regelmäßig auf harten Futterbrocken (Nüsse, Erbsenflocken, Saaten, Pellets, Gemüsechips, ...) herumbeißen, die sie nicht zermahlen können, sondern zerquetschen müssen.
Fortgeschrittenes retrogrades Zahnwachstum kann vom spezialisierten Tierarzt ertastet werden; im Anfangsstadium ist es hingegen nur mittels Röntgen oder Computertomographie (CT) feststellbar.
Im Unterkiefer zeigen sich dabei deutliche Ausbuchtungen und Ausdünnungen der Knochenlinie; im Oberkiefer ist die Zahnwurzellänge mit Hilfe eingezeichneter Referenzlinien beurteilbar.
Auffällige Zahnkronen sind immer ein Anlass, den Schädel zu röntgen, da die Wurzeln sehr häufig - und oft noch erheblich stärker - mitbetroffen sind.
Augen- und Nasenausfluss
Ursache:
- retrogrades Zahnwachstum
- Zahnwurzelentzündung
Sehr vielen Kaninchenhaltern und nicht-spezialisierten Tierärzten ist nicht bewusst, dass vermeintlicher "Schnupfen" beim Kaninchen oft durch retrograd wachsende Zahnwurzeln verursacht wird: Die Zahnwurzeln engen den Tränen-Nasen-Kanal ein oder brechen in ihn ein.
Infolge der drückenden / entzündeten Zahnwurzel kann die Tränenflüssigkeit nicht mehr abfließen und das Auge beginnt zu tränen. Nach einer gewissen Zeit siedeln sich sekundär Bakterien im verlegten Tränen-Nasen-Kanal an, wodurch der zunächst klare Ausfluss eitrig wird.
Sind die Zahnwurzeln bereits eitrig entzündet, kann die Entzündung auch direkt in den Tränen-Nasen-Kanal übertreten. In beiden Fällen kommt es meist auch zum eitrigen Nasenausfluss. Kanincheneiter ist sehr aggressiv, wodurch sekundär Bindehautentzündungen auftreten.
Häufig treten die Symptome (zunächst) nur auf einer Seite auf. "Echter" Schnupfen hingegen betrifft in aller Regel beide Nasenlöcher und beide Augen. Daher sind bei einseitigem Ausfluss unbedingt Röntgenbilder oder eine Computertomographie (CT) vom Schädel notwendig. Gelegentlich sind auch Augenverletzungen oder Fremdkörper im Tränen-Nasen-Kanal die Ursache; es müssen aber in jedem Fall auch die Zahnwurzeln abgeklärt werden!
Exophthalmus (hervorstehender Augapfel)
Ursache:
- retrogrades Zahnwachstum
- Zahnwurzelabszess
Zahnwurzelabszesse im Oberkiefer können zunehmend gegen den Augapfel drücken, sodass er vorgelagert wird. Dies wird v.a. sichtbar, wenn man das betroffene Kaninchen gerade von vorne oder von oben betrachtet. Auch ein einseitiges Hervortreten der Nickhaut oder Skleren (des "Weißen" im Auge) ist verdächtig.
Die sogenannten retrobulbären Abszesse können innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden massiv an Volumen zunehmen. Steht der Augapfel zu weit heraus, funktioniert der Lidschluss nicht mehr. In der Folge trocknet das Auge ein. Dies ist mit hochgradigen Schmerzen und dem Verlust des Sehsinns auf dem betroffenen Auge verbunden.
In seltenen Fällen wird ein Exophthalmus durch einen retrobulbären Tumor verursacht. Ein solcher wächst aber deutlich langsamer; das Symptom tritt nicht akut auf. Auch ein erhöhter Augeninnendruck ist eine mögliche Ursache dafür, dass der Augapfel sich vergrößert und vorzustehen scheint.
Stellen Sie fest, dass ein Augapfel Ihres Kaninchens plötzlich weiter hervorsteht als der andere, muss das Tier schnellstmöglich einem Spezialisten vorgestellt werden! Mit Hilfe von Schädelröntgenbildern oder einer CT stellt der Tierarzt fest, welche Zahnwurzeln am Abszessgeschehen beteiligt sind. Im Anschluss ist ein sofortiger chirurgischer Eingriff notwendig.
Ist der Exophthalmus so stark, dass das Kaninchen sein Auge nicht mehr schließen kann, gehört es umgehend in die (Notfall-)Sprechstunde - es hat erhebliche Schmerzen! Darüber hinaus droht der Verlust des Auges. Sollte keine sofortige Operation möglich sein, müssen Sie das Auge bis zum Eingriff engmaschig mit einer befeuchtenden Augensalbe pflegen.
Schräg abgeriebene Schneidezähne
Ursache:
- asymmetrischer Backenzahnabrieb
Stehen die Schneidezähne schräg aufeinander, ist nahezu immer ein Backenzahnproblem ursächlich: Wachsen die Backenzahnkronen auf einer Seite zu lang, gerät der Kiefer in eine Schieflage, wodurch auch die Schneidezähne sich nicht mehr gerade abreiben können.
Daher ist es unbedingt notwendig, die Backenzähne zu untersuchen. Deutlich zu lange Backenzahnkronen kann ein kaninchenerfahrener Tierarzt mit bloßem Auge erkennen, wenn er mit einem Otoskop ins Mäulchen schaut oder das Kaninchen sediert und das Mäulchen anschließend mit einem Maulspreizer öffnet. Zu lange oder stufige Zahnreihen müssen eingeschliffen werden.
Darüber hinaus muss zwingend die Grundursache für die Schieflage des Kiefers ermittelt werden! Dies können z.B. Zahnwurzelprobleme oder eine Mittelohrentzündung sein. Röntgenbilder oder eine CT sind für die weitere Diagnostik daher unerlässlich.
Schneidezahnfehlstellung
Ursache:
- angeborene Fehlstellung
- chronische Backenzahnproblematik
Insbesondere Zwergkaninchen leiden oft unter einer Missbildung des Oberkiefers, einer sogenannten Brachygnathia superior. Dabei ist der Oberkiefer kürzer als der Unterkiefer, die unteren Schneidezähne befinden sich also weiter vorn als die oberen. Ein gegenseitiger Abrieb ist in diesem Fall nicht möglich und die Zähne wachsen ungehindert aneinander vorbei. Auch mit einer gesunden Ernährung kann keine Besserung erzielt werden. Die Problematik ist mit bloßem Auge sichtbar.
Es sind jedoch auch leichtere Schneidezahnfehlstellungen möglich, bei denen sich die Zähne der gegenüberliegenden Kiefer zwar berühren, aber nicht ideal aufeinanderstehen. Auch eine solche Fehlstellung kann angeboren sein; aber auch durch längerfristige Backenzahnveränderungen entstehen, die eine allmähliche Verschiebung des Unterkiefers nach vorne zur Folge haben.
Bei jeder Schneidezahnfehlstellung sollten Röntgenaufnahmen des Gebisses erfolgen, um zu überprüfen, ob und inwieweit die Backenzähne in das Geschehen involviert sind.