Schlecht belüftete Ohren
In einem natürlich aufrecht stehenden Kaninchenohr ist der äußere Gehörgang bis zum Trommelfell durchgehend gut belüftet. Beim Widder hingegen knickt er wie ein "Gartenschlauch" nach unten ab.
Dadurch ist der Gehörgang eines Hängeohrs hinter dem "Knick" - also in Richtung Trommelfell - luftdicht verschlossen. Der Knick verhindern außerdem, dass dahinter gebildetes Sekret (Zerumen / Ohrenschmalz) physiologisch nach außen abfließen kann, weswegen Widderohren fast immer verstopft sind und das Trommelfell nicht einsehbar ist. Auch sind die Gehörgänge der Widder generell enger als bei stehohrigen Tieren, was die genannten Problematiken verstärkt.
Aber auch der weiter außen befindliche Anteil des Gehörgangs ist nur bedingt belüftet, da die Ohrmuschel durch das Hinabhängen quasi dem Körper des Kaninchens anliegt.
Eine gewisse Einschränkung in der Belüftung ist auch bei sehr kleinohrigen Löwenköpfchen festzustellen. Manche Zwergkaninchen besitzen, ähnlich wie Widder, stark verengte Gehörgänge und folglich ähnliche Probleme. Interessanterweise neigt auch das andere Extrem, nämlich das Riesenkaninchen, zu Ohrenentzündungen.
Das sauerstoffarme bzw. -freie, durch die Ansammlung von Ohrenschmalz darüber hinaus feuchte Milieu bietet diversen pathogenen (= krankmachende) Bakterien, Hefepilzen und anderen Keimen optimale Lebensbedingungen.
Kommt es aufgrund der mangelnden Belüftung zu einer Entzündung, kann diese - sofern sie nicht frühzeitig behandelt wird - aufs Trommelfell übergreifen und von dort wiederum zum Mittel- und Innenohr vordringen.
Bei diesem Krankheitsverlauf ist also (zunächst) das Außenohr entzündet, was sich durch "Reinschauen" mit dem Otoskop feststellen lässt.
Auch ein Abstrich aus der Ohrmuschel, der unter dem Mikroskop angesehen wird, kann Aufschluss geben. Das Mittel- und Innenohr lassen sich durch diese Diagnostikverfahren hingegen nicht beurteilen.
Aufgrund ihrer hochgradigen Neigung zu Ohrenentzündungen, die regelmäßig zu erheblichen Leiden führen, werden Widder mittlerweile als Qualzucht eingestuft. Leider hält sich die Einsicht von Widdervermehrern diesbezüglich noch stark in Grenzen: Wissenschaftliche Studien werden gerne als "nicht repräsentativ" bezeichnet, indem akribisch nach "Fehlern" im Versuchsaufbau gesucht wird oder schlichtweg unterstellt wird, dass gezielt Kaninchen ausgewählt worden seien, die zu dem angeblich "gewünschten Ergebnis" beigetragen hätten.
Anstatt in der Theorie nach Unstimmigkeiten zu suchen, empfiehlt es sich, einen Blick auf die Realität zu werfen - nämlich in die tierärztliche Praxis: Tierärzte mit einer Spezialisierung auf kleine Heimtiere bestätigen einstimmig aus ihrem Praxisalltag, dass krankhafte Veränderungen der Ohren bei Widdern der Standard sind - bei Stehohrkaninchen hingegen die Ausnahme.
Dass man von Züchtern und anderen Vermehrern oft gegenteilige Informationen erhält, mag zum einen daran liegen, dass deren Tiere überwiegend bereits im jungen Alter abgegeben oder "ausrangiert" werden. Ohrenentzündungen entwickeln sich jedoch oft über Jahre hinweg. Widder unter einem Jahr haben oft noch saubere Gehörgänge.
Zum anderen werden die Ohren der Tiere - wenn überhaupt - aus finanziellen Gründen meist nur oberflächlich untersucht, z. B. durch einen kurzen oberflächlichen Blick durchs Otoskop. Eingehende Ohrenuntersuchungen durch einen Spezialisten bis zum Trommelfell erfolgen selten, da es etwas Übung erfordert, mit dem Otoskop hinter den "Knick" zu schauen. Untersuchungen mittels Videokamera sowie Röntgen- oder CT-Aufnahmen sind die absolute Ausnahme.
Auch Untersuchungen auf Kaninchenausstellungen, bei denen scheinbar fast alle Widder ohrgesund waren, wurden selbstverständlich ohne bildgebende Diagnostik durchgeführt - und darüber hinaus gezielt bei einer Auswahl an Tieren, die noch keine offensichtlichen Krankheitssymptome aufweisen, schließlich würde der Züchter anderenfalls einen Punktabzug riskieren.
Bitte unterstützen Sie keinesfalls die Nachzucht von Widdern!
Schnupfen- und Zahnerkrankungen
Kaninchen, die an chronischem Schnupfen oder eitrigen Zahnentzündungen leiden, neigen verstärkt zu Ohrenentzündungen, da die beteiligten Bakterien durch die sogenannte Eustachische Röhre (welche das Mittelohr mit dem Rachen verbindet und für den Druckausgleich verantwortlich ist) ins Mittelohr vordringen und sich dort weiter vermehren.
Bei einer solchen sogenannten "aufsteigenden Infektion" sind das Mittel- und evtl. auch das Innenohr also bereits vor dem Außenohr betroffen.
Die inneren Strukturen können bereits schwer geschädigt sein, wenn beim "Reinschauen" in die Ohrmuschel noch alles in Ordnung aussieht. Erst, wenn die Entzündung so massiv ist, dass sich das Trommelfell nach außen vorwölbt oder einreißt, ergibt der Blick durchs Otoskop einen Befund.
Aus diesem Grund ist eine Untersuchung des Außenohrs mittels Otoskop oder Kamera niemals ausreichend, um eine Mittel- oder Innenohrentzündung auszuschließen!
Chronische Kopfschiefhaltung
Kaninchen, die einen akuten EC-Schub hinter sich haben, behalten gelegentlich eine Kopfschiefhaltung zurück. Das "unten" befindliche Ohr wird dadurch oft in einem unnatürlichen Winkel gehalten, damit es nicht auf dem Boden schleift. Es entsteht eine Engstelle beziehungsweise ein "Knick" im äußeren Gehörgang, durch den die Belüftung des Ohrs beeinträchtigt wird. Auch fällt es betroffenen Tieren oft schwer, das Ohr sauberzuhalten.
In der Folge kann es auf dieser Seite langfristig zur Entzündung des Außenohrs kommen. Bleibt diese unerkannt, kann sie auf das Trommelfell übergreifen und sich somit in Richtung Mittel- und Innenohr ausbreiten. Es handelt sich also, ebenso wie rassebedingt beim Widder, um eine absteigende Entzündung, bei der zuerst das Außenohr betroffen ist. Eine Untersuchung mittels Otoskop, Videokamera und Abstrich ist somit aufschlussreich.
Chronische Gleichgewichtsprobleme und Gliedmaßenamputation
Auch Kaninchen, die in ihrem Putzverhalten eingeschränkt sind, können Ohrenentzündungen entwickeln. Ursächlich können beispielsweise chronische Gleichgewichtsprobleme (z. B. durch EC oder Wirbelsäulenarthrose) sein, ferner aber auch die Amputation einer Gliedmaße.
In die Ohrmuschel eindringender Schmutz kann nicht mehr selbstständig entfernt werden und zu Entzündungen führen. Es handelt sich also auch hier um einen Krankheitsverlauf, bei dem zuerst das Außenohr betroffen ist und die Entzündung anschließend in den Mittelohrbereich "absteigen" kann. Da die Belüftung der Ohren in diesem Fall weniger beeinträchtigt ist (sofern es sich um Stehohren handelt), beschränkt sich die Problematik auf die Verschmutzungen.