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Magenüberladung beim Kaninchen

Klumpstreu aus Pflanzenfasern wird von Kaninchen liebend gern gefressen, ist aber sehr gefährlich.


Entgegen der landläufigen Meinung kommt eine Magenüberladung beim Kaninchen sehr selten vor. Meist liegt in Wahrheit eine Magendilatation vor, die fälschlicherweise als Magenüberladung bezeichnet wird.


Ursachen der Magenüberladung

  • hastige Futteraufnahme nach längerer Fresspause
  • Aufnahme quellender Futtermittel
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Ursache für eine Magenüberladung können u.a. die zu hastige Aufnahme großer Futtermengen oder die Aufnahme quellender Futtermittel / Materialien: Der Magen füllt sich dann schneller, als Futterbrei in den Darm weiterbefördert wird.


Hastige Futteraufnahme

Eine zu hastige Futteraufnahme, die eine Magenüberladung verursacht, kommt vor allem vor, wenn Kaninchen mehrere Stunden lang kein Futter zur Verfügung haben und anschließend ungeeignete, rohfaserarme Nahrungsmittel herunterschlingen. Dieses muss nur kurz gekaut werden, sodass große Mengen gefressen werden können, ehe das Sättigungsgefühl einsetzt. An "anspruchsvoller", rohfaserhaltiger Nahrung (Grünfutter, Heu) ist ein "Überfressen" hingegen kaum möglich.


Quellende Futtermittel

Quellende Futtermittel und Materialien verbinden sich im Magen mit Flüssigkeit und nehmen dadurch stark an Volumen zu. Entgegen vieler Gerüchte erkrankt ein Kaninchen, das ein paar Pellets als Leckerbissen kommt, nicht an einer Magenüberladung.

Frisst ein Kaninchen sich hingegen an einer großen Menge Pellets, Gemüsechips, Heuhäckseln oder sonstigem Trockenfutter satt, kann der Magen durchaus überfüllt werden ("Heuhäcksel" sind die feinen, krümeligen Reste, die in einer Heutüte übrig bleiben).

Weitaus gefährlicher sind quellende Einstreumaterialien. Dazu zählen insbesondere Strohpellets und Katzenklumpstreu aus verschiedenen Materialien, da diese Produkte erstens extra stark quellend produziert werden und zweitens nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehen, wenn die Toiletten damit eingestreut werden.

Einstreu aus Pflanzenfasern und Strohpellets sind bei vielen Kaninchen heiß begehrt. Sie dürfen nur als Streu verwendet werden, wenn die Kaninchen keine Möglichkeit haben, sie zu fressen. Das ist nur der Fall, wenn Sie "Spaltenboden-Toiletten" ("chinese rabbit toilet") verwenden und die Streu zusätzlich mit einer Lage Servietten abdecken.

Klumpenbildende Streu ist besonders gefährlich: Sie kann durch ihre stark quellenden Eigenschaften nicht nur eine Magenüberladung verursachen, sondern durch das gleichzeitige Zusammenklumpen sogar einen Darmverschluss

Holzpellets bergen theoretisch dieselbe Gefahr wie Strohpellets, sind für die meisten Kaninchen aber unattraktiv und werden nicht gefressen. Sollten Sie beobachten, dass Ihre Kaninchen die Holzpellets fressen, dürfen sie nicht mehr bzw. nur in geschützten Spaltenboden-Toiletten verwendet werden.

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Symptome bei Magenüberladung

Mögliche Symptome einer Magenüberladung sind:

  • Inappetenz (Appetitlosigkeit)
  • Apathie (Teilnahmslosigkeit)
  • gekrümmte Körperhaltung, Schmerzmimik
  • Unruhe, häufiger Wechsel der Sitz- oder Liegeposition
  • Kreislaufschwäche, Untertemperatur
  • In schweren Fällen: erschwerte Atmung, Steh- und Gehunfähigkeit
  • sichtbar vergrößerter Leibesumfang
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Eine Magenüberladung kann je nach Schweregrad sehr schmerzhaft sein und eine starke Übelkeit verursachen. In schweren Fällen ist sie auch mit einer Kreislaufschwäche verbunden. Betroffene Kaninchen zeigen ein reduziertes Allgemeinbefinden: Sie haben keinerlei Interesse am Futter und meiden es, sich zu bewegen. 

Im Falle einer Kreislaufschwäche haben die Kaninchen Untertemperatur (< 38-39° C).

Auch eine deutliche Schmerzsymptomatik ist möglich. Dazu gehören ein "Schmerzgesicht", Zähneknirschen, eine gekrümmte Körperhaltung und oftmals Unruhe, da die Kaninchen keine angenehme / schmerzfreie Sitz- oder Liegeposition finden.

Bei einer hochgradigen Magenüberladung drückt der Magen auf das Zwerchfell und naheliegende Blutgefäße. Dies führt zu Atembeschwerden und einer erheblichen Schwächung des Kreislaufs. Diese Kaninchen sind oftmals nicht mehr stehfähig oder knicken beim Versuch zu laufen mit der Hinterhand zur Seite weg. Sie sind absolute Intensivpatienten!

Ein sichtbar aufgetriebener Leib ist in schweren Fällen und bei schlanken Tieren ebenfalls möglich.

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Diagnostik bei Magenüberladung

  • Anamnese (Vorbericht) 
  • Palpation (Abtasten)
  • Röntgendiagnostik
  • Urinuntersuchung
  • (Blutuntersuchung)

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Anamnese (Vorbericht)

Essenziell, um eine Magenüberladung von der (weitaus häufiger vorkommenden) Magendilatation zu unterscheiden, ist der Vorbericht

Als Besitzer werden Sie selber am besten beurteilen können, ob das Kaninchen sich mit quellenden Futtermitteln / Streumaterialien den Magen vollgeschlagen haben könnte. Prüfen Sie im Zweifelsfall auch, ob entsprechende Tüten angefressen wurden.

Hat das Kaninchen definitiv nichts Ungeeignetes und keine größeren Mengen quellenden Futters aufgenommen, liegt höchstwahrscheinlich eine Magendilatation infolge einer gestörten Magenentleerung vor!


Palpation (Abtasten)

Bei einer starken Magenüberladung ist der Bauch eines (schlanken) Tieres sichtbar aufgetrieben. Dies ist allerdings ebenso bei einer Magendilatation und bei einer Blinddarm-Aufgasung der Fall.

Ein auf Kleinsäuger (NICHT Kleintiere = Hunde & Katzen!) spezialisierter Tierarzt kann mitunter ertasten, ob der Blinddarm oder der Magen vergrößert ist. Eine Unterscheidung zwischen Magenüberladung und Magendilatation ist jedoch nicht möglich. 

Bei übergewichtigen Kaninchen sind die Möglichkeiten eines Tastbefundes zusätzlich eingeschränkt.

Eine sichere, objektive Befunderhebung und eine Verlaufskontrolle sind nur via Röntgendiagnostik möglich. Dabei sollten grundsätzlich zwei Ebenen aufgenommen werden - abgesehen von Fällen, in denen der Kreislauf oder die Atmung so massiv beeinträchtigt sind, dass eine Rückenlage zunächst nicht möglich ist.

Die Urinuntersuchung per Harnstick hilft insbesondere bei der Beurteilung der Kreislauflage (ein pH-Wert unter 7-8 zeugt von einer schweren Stoffwechselentgleisung).

Eine Blutuntersuchung kann entscheidend sein, wenn die Magenüberladung einen Ileus (Darmverschluss) verursacht haben könnte - z. B. nach dem Verzehr klumpender Katzenstreu. Ein hoher, steigender Glukosewert ist meist die Folge eines bestehenden Ileus; ein konstanter oder sinkender Glukosewert deutet darauf hin, dass der Magen-Darm-Trakt durchgängig ist (bei Magenüberladung, Stase und Ileus in Auflösung). Weiterhin aussagekräftig sind die Nierenwerte, da Kaninchen mit einer Kreislaufschwäche eine akute Niereninsuffizienz entwickeln können.

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Therapie der Magenüberladung

Die Therapie erfolgt einerseits symptomatisch, andererseits ursächlich:

  • geeignetes Schmerzmittel (KEIN Meloxicam!)
  • Prokinetikum (Hemmung der Übelkeit und Stimulation der Magen-Darm-Motorik)
  • Antiemetikum (Hemmung der Übelkeit)
  • (Abführmittel)
  • (Kreislaufstabilisierung: Infusionen, Wärmezufuhr, Catosal®)
  • Magenschleimhautschutz
  • ggf. Sauerstoffzufuhr
  • KEINE Zwangsfütterung!
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Schmerztherapie

Der wichtigste Therapiebestandteil ist ein geeignetes Schmerzmittel - i. d. R. Metamizol (50-65 mg/kg alle 4 Std oder 75 mg/kg alle 6 Std), in schweren Fällen auch ein Opiat wie Butorphanol (0,1–1 mg/kg alle 4–6 h) oder Buprenorphin (0,01–0,06 mg/kg alle 6–12 h). Das Schmerzmittel sollte injiziert (und nicht eingeflößt) werden: Im Falle einer Kreislaufschwäche oder einer Magenproblematik können oral verabreichte Medikamente nicht oder nur stark verzögert resorbiert werden! 

Kaninchen mit deutlicher Untertemperatur (< 37,0° C) sollten alle Schmerzmittel intravenös, also über einen Venenverweilkatheter, erhalten: Subkutan (unter die Haut gespritzte) Medikamente können während einer Kreislaufschwäche meist nicht mehr zeitnah resorbiert werden.

Metamizol wirkt krampflösend und zentral schmerzhemmend. Opiate bewirken eine noch intensivere zentrale Schmerzhemmung.

Letztere sollten möglichst nur einmalig verwendet werden, da eine längerfristige Anwendung die Magen-Darm-Motorik negativ beeinflussen kann. Da eine Magenüberladung mit der richtigen Therapie in einer relativ kurzen Zeit behandelt werden kann, genügt es meist, das Opiat nur ganz zu Anfang einmal einzusetzen und die Schmerztherapie danach auf Metamizol zu beschränken - sofern keine Komplikationen (wie z. B. ein Darmverschluss) auftreten.

Die Schmerzbehandlung ist nicht nur aus Tierschutzgründen notwendig, sondern auch essenziell für eine gute Prognose: Bei Schmerzen schüttet der Organismus riesige Mengen Stresshormone aus, welche die Darmmotorik zusätzlich hemmen.

Meloxicam ist bei einer Magenüberladung völlig ungeeignet.


Abführmittel

Ist trockenes, quellendes Futter oder Material die Ursache der Magenüberladung, sollte wiederholt ein Abführmittel verabreicht werden. I. d. R. wird hierfür Laktulose verwendet, zur Not eignet sich auch Speiseöl. Nicht geeignet ist Paraffinöl!

Das Abführmittel soll dem Eindicken des Nahrungsbreis und einer resultierenden Verstopfung entgegenwirken. Da der Magen bereits überfüllt ist, dürfen keine große Mengen auf einmal eingegeben werden. Empfehlenswert ist 1 ml / kg alle 30-60 Minuten.


Förderung der Darmmotorik

Ein Prokinetikum (z. B. Metoclopramid, 3x tgl. 0,5 mg/kg s.c., i.v.; erste Injektion mit 5 mg/kg zu dosieren - also zehnmal höher) beschleunigt die Magenentleerung und hilft gegen Übelkeit. Im Falle einer Magenüberladung ist es auf jeden Fall zu spritzen, da es bei oraler Eingabe nur verzögert resorbiert werden kann und der bereits überladene Magen zusätzlich gefüllt wird.


Medikamente gegen Übelkeit

Ein Antiemetikum wie Maropitant (1x tgl. 1 mg/kg s.c.), z. B. Cerenia ®, oder Metoclopramid (3x tgl. 0,5 mg/kg s.c., i.v.), z. B. Emeprid ®, ist von großer Bedeutung, um das Befinden der Tiere zügig zu verbessern. Meist kommt Maropitant zum Einsatz, wenn Metoclopramid alleine keine ausreichende Besserung bewirkt hat.


Schleimhautschutz

Ein Schleimhautschutz-Präparat wie Sucralfat (2x tgl. 25 mg/kg p.o. über 4-6 Wochen, z. B. Sucrabest® ) empfiehlt sich, da es infolge der Magenüberdehnung oftmals zu Entzündungen der Schleimhäute kommt.

Da ein Magenschutz die Resorption anderer oral verabreichter Medikamente beeinträchtigen kann, sollte er immer mindestens 30 Minuten zeitversetzt gegeben werden. Diese "Abstandsregel" gilt nicht für Medikamente, die nicht resorbiert werden, sondern nur lokal im Darm wirken (z. B. Laktulose, Simeticon, Pro- und Präbiotika): Sie dürfen zeitgleich gegeben werden.


Kreislaufstabilisierung: Infusionen, Wärmezufuhr, Catosal®

Infusionen dienen einerseits der Kreislaufstabilisierung, andererseits wirken sie einem Eindicken des (quellenden) Nahrungsbreis im Magen und somit einer Verstopfung entgegen. Geeignet sind RingerLactat oder Sterofundin.

Hat das Kaninchen eine normale oder nur leicht erniedrigte Körpertemperatur, kann die Infusion als Depot unter die Haut gespritzt werden. Zuvor ist sie auf Körperwärme zu bringen (z. B. in der Mikrowelle). Bei starker Untertemperatur (<37,0-37,5° C) benötigt das Tier einen Venenkatheter und muss an den Tropf gehängt werden.   

Die Catosal® Injektionslösung enthält u. a. B-Vitamine und organische Phosphorverbindungen. Sie stimuliert verschiedene Stoffwechselprozesse und trägt zur Stabilisierung des Patienten bei. Üblich ist eine Dosierung von 1 ml / kg einmal täglich subkutan (unter die Haut).

Unterkühlte Kaninchen (Körpertemperatur <38,0-39,0° C - individuelle Unterschiede!) müssen warmgehalten werden, um den Kreislauf zu stabilisieren.

Hierzu eignen sich z.B. Wärmeflaschen, Wärmematten oder -kissen für Haustiere, spezielle Wärmeboxen oder eine Rotlichtlampe, die so aufgestellt wird, dass der Patient sich ihr bei Bedarf entziehen kann. Weiterhin kann ein körperwarmes, subkutanes Infusionsdepot sinnvoll sein. Bei deutlicher Untertemperatur / starker Kreislaufschwäche muss das Kaninchen jedoch zusätzlich intravenös infundiert werden (s.o.).


Sauerstoffzufuhr

Kaninchen mit einer so starken Magenüberladung, dass Atembeschwerden auftreten, müssen mit reinem Sauerstoff stabilisiert werden. Dies kann in einer "richtigen" Sauerstoffbox erfolgen oder der Patient wird in eine mit Folie umwickelte Box gesetzt, in die mittels eines Schlauchs der Sauerstoff eingeleitet wird.


Zwangsfütterung?

Eine Zwangsfütterung ist bei einer Magenüberladung kontraindiziert und absolute Tierquälerei! Der Magen ist bereits überfüllt - eine Zwangsfütterung verschlimmert die Lage lediglich! Da der Magen unter Druck steht und kein Passagehindernis vorliegt, entleert er und verkleinert er sich mit der Zeit von selber - vorausgesetzt, es wird kein weiterer Nahrungsbrei "hinterhergestopft".

Erst, wenn der Magen seine physiologische Größe zurückerlangt hat (Röntgenkontrolle!!) und falls das Kaninchen dennoch nicht gleich wieder zu fressen beginnt, darf und sollte es gepäppelt werden.

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Prognose bei Magenüberladung

Die Prognose bei einer Magenüberladung hängt vom Schweregrad, der konkreten Ursache und der Therapie ab. Das höchste Risiko besteht nach der Aufnahme von Klumpstreu, da diese besonders stark quillt und unverdauliche Klumpen bilden kann. Dadurch besteht die Gefahr eines lebensbedrohlichen Darmverschlusses. Pellets und andere quellende Futtermittel sind weniger gefährlich. 

In schweren Fällen mit starken Schmerzen und Kreislaufschwäche ist eine Intensivtherapie potenziell lebensrettend. Bleibt sie aus, verschlechtert sich die Prognose erheblich.